Die Streckgrenze ist einer der zentralen Kennwerte der Werkstoffkunde und der Festigkeitslehre. Sie beschreibt die Spannung, bei der ein Werkstoff im Zugversuch die Grenze der rein elastischen Verformung überschreitet und in den Bereich der plastischen Verformung übergeht. Bis zu diesem Punkt kehrt der Werkstoff nach Entlastung vollständig in seine ursprüngliche Form zurück. Wird die Streckgrenze überschritten, bleibt eine bleibende Dehnung zurück. Dieses Verhalten ist entscheidend für die Dimensionierung von Bauteilen in Maschinenbau, Bauwesen und vielen anderen technischen Disziplinen.
1. Historische Entwicklung
Die Streckgrenze wurde im 19. Jahrhundert erstmals systematisch beschrieben. Mit der Industrialisierung und dem Bau von Eisenbahnbrücken, Dampfkesseln und später Hochhäusern war es notwendig, die Belastbarkeit von Metallen genau zu kennen. Ingenieure stellten fest, dass Materialien wie Stahl oder Eisen bei steigender Belastung zunächst proportional zur Spannung gedehnt werden, bis ein Punkt erreicht ist, an dem die Dehnung plötzlich zunimmt, ohne dass die Spannung weiter steigt. Dieser Punkt wurde als „Streckgrenze“ bezeichnet. Mit der Einführung standardisierter Zugversuche nach DIN und ISO wurde die Streckgrenze zu einem international anerkannten Kennwert.
2. Definition und mathematische Grundlagen
Die Streckgrenze wird mit dem Symbol Re oder σy bezeichnet. Sie ist die Spannung, bei der ein Werkstoff im Zugversuch erstmals plastisch verformt wird. Mathematisch lässt sich die Spannung wie folgt beschreiben:
σ = F / A
- σ = Spannung in N/mm²
- F = aufgebrachte Kraft in Newton
- A = Querschnittsfläche der Probe in mm²
Die Streckgrenze ist der Punkt, an dem die Spannung-Dehnung-Kurve vom linearen Verlauf (Hookesches Gesetz) abweicht. Bis dahin gilt: σ = E · ε, wobei E der Elastizitätsmodul ist.
3. Arten der Streckgrenze
- Obere Streckgrenze (ReH): Spannung, bei der die erste plastische Verformung einsetzt.
- Untere Streckgrenze (ReL): Spannung, bei der die plastische Verformung nach dem ersten Einsetzen weiterläuft.
- 0,2%-Dehngrenze (Rp0,2): Wird bei Werkstoffen ohne ausgeprägte Streckgrenze (z. B. Aluminium) verwendet. Sie gibt die Spannung an, bei der eine bleibende Dehnung von 0,2 % entsteht.
4. Versuchstechnik und Normen
Die Streckgrenze wird durch den standardisierten Zugversuch bestimmt. Dabei wird eine genormte Probe langsam belastet, bis sie bricht. Währenddessen werden Kraft und Dehnung aufgezeichnet. Die resultierende Spannungs-Dehnung-Kurve zeigt deutlich den Übergang vom elastischen in den plastischen Bereich. Normen wie DIN EN ISO 6892-1 regeln die Durchführung des Zugversuchs, die Probengeometrie und die Auswertung.
5. Einflussfaktoren
Die Streckgrenze hängt von verschiedenen Faktoren ab:
- Legierung: Zusätze wie Chrom, Nickel oder Molybdän erhöhen die Streckgrenze von Stählen.
- Wärmebehandlung: Härten oder Vergüten verändert die Mikrostruktur und damit die Streckgrenze.
- Temperatur: Bei hohen Temperaturen sinkt die Streckgrenze deutlich, was in der Kraftwerkstechnik berücksichtigt werden muss.
- Korrosion: Schädigt die Mikrostruktur und kann die Streckgrenze reduzieren.
- Kornstruktur: Feinkörnige Werkstoffe besitzen höhere Streckgrenzen als grobkörnige.
6. Vergleich mit anderen Kennwerten
- Elastizität: Bis zur Streckgrenze ist die Verformung reversibel.
- Zugfestigkeit: Gibt die maximale Spannung an, die ein Werkstoff aushält, bevor er bricht.
- Bruchdehnung: Beschreibt die plastische Verformung bis zum Bruch und ergänzt die Streckgrenze als Maß für die Duktilität.
7. Typische Werte
- Baustahl: 235–355 N/mm²
- Hochfester Stahl: bis 1200 N/mm²
- Aluminiumlegierungen: 50–500 N/mm²
- Kupfer: ca. 70–200 N/mm²
8. Praktische Anwendungen
Die Streckgrenze ist entscheidend für die Dimensionierung von Bauteilen:
- Bauwesen: Tragfähigkeit von Brücken, Hochhäusern und Stahlkonstruktionen.
- Maschinenbau: Wellen, Schrauben, Zahnräder und Federn.
- Luft- und Raumfahrt: Leichtbau mit hochfesten Aluminium- und Titanlegierungen.
- Medizintechnik: Implantate aus Titan oder Edelstahl, die hohen Belastungen standhalten müssen.
9. Zukunft und Forschung
Die moderne Werkstoffforschung arbeitet daran, Werkstoffe mit immer höheren Streckgrenzen zu entwickeln. Hochfeste Stähle, Titanlegierungen und Verbundwerkstoffe sollen leichtere und gleichzeitig sichere Konstruktionen ermöglichen. Besonders im Bereich der Elektromobilität und Luftfahrt sind Materialien gefragt, die hohe Streckgrenzen mit geringem Gewicht kombinieren. Recycling und Nachhaltigkeit spielen ebenfalls eine große Rolle, da die Wiederverwendung von Metallen die Umweltbelastung reduziert.
10. Fazit
Die Streckgrenze ist ein unverzichtbarer Kennwert in der Werkstoffkunde. Sie markiert die Grenze zwischen elastischer und plastischer Verformung und ist entscheidend für die Sicherheit und Funktion von Bauteilen. Ihre genaue Kenntnis ermöglicht Ingenieuren, Materialien optimal einzusetzen und Konstruktionen zuverlässig zu gestalten. Mit der fortschreitenden Entwicklung neuer Werkstoffe wird die Streckgrenze auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen.
Weiterführende Quellen
Mehr Informationen sind auf diesen Links zu finden.
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- Quelle: https://www.maschinenbau-wissen.de/skript3/werkstofftechnik/metall/22-streckgrenze
- Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Streckgrenze
- Quelle: https://www.maschinenbau-wissen.de/skript3/werkstofftechnik/metall/24-streckgrenze
- Quelle: https://studyflix.de/ingenieurwissenschaften/streckgrenze-1085
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